Der Professor
Es war ein regnerischer Freitagnachmittag. Vanessa saß auf den Stufen des Käthe-Günther-Gymnasiums. Auf ihrer Brille schlugen sich vereinzelte Tropfen des Nieselregens nieder. Das nasskalte Frühlingswetter konnte einem echt den Tag vermiesen. Doch dies war nicht der einzige Grund für das Stirnrunzeln des molligen Mädchens. In ihren Händen heilt sie ihr Handy fest umklammert. Sie wartete auf eine SMS ihrer Freundin. Jenny hatte ihr versprochen sie mit ihrem Freund hier abzuholen. Zwei Stunden wartete sie schon vor den Stufen ihrer Schule.
Zuhause wartete niemand auf sie. Ihre Eltern und ihre jüngere Schwester verbrachten das Wochenende in Hamburg. Vanessa hatte wenig Antrieb ihre Verwandten zu besuchen, zumal sie endlich 18 war, und nicht länger mit Kindern spielen wollte. Nein, sie wollte das Wochenende mit Jenny verbringen. Ihrer besten und irgendwie auch einzigen Freundin. Früher waren sie unzertrennlich gewesen, doch seid Jenny einen neuen Freund hatte, war sie immer unzuverlässiger gewesen. So wie heute.
Missmutig tippte sie zusammengekauert auf ihrem Handy herum. Die letzte SMS vom Konto ihrer Prepaid Karte war vor einer Stunde abgeschickt worden. Sie konnte jetzt nur noch auf eine Antwort warten.
„Hallo Kleines?“, drang eine Stimme aus dem Nichts zu ihr durch. Vanessa richtete sich auf. Sie erblickte einen gut gekleideten Mann in Anzug und mit einem Schirm in der Hand. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten und sein kantiges Kinn flankierte ein freundliches Lächeln. „Was treibst denn noch in der Schule, Kleines? Solltest du nicht schon zuhause sein und das Wochenende genießen?“
Vanessa erkannte den Mann. Es war Professor Martin Schönbaum. Ein junger Wirtschaftsprofessor, er aushilfsweise an der Käthe-Günther unterrichtete, um die zahlreichen Ausfälle an Lehrern zu verringern. Er war sehr beliebt bei seinen Schülern, und Vanessa hörte fast jeden Tag in der Pause von den Schwärmereien ihrer Mitschülerinnen.
„Ich warte hier auf jemanden.“
„Du solltest dich vielleicht, wo anders hinsetzen. Bei dem Wetter wirst du noch krank und es wäre doch schade, wenn wir uns deshalb am Montag nicht wieder sehen könnten.“ Er deutete auf das Café, welches gegen über der Schule lag. Sein Lächeln glich einem Sonnenstrahl, der durch die Wolkendecke direkt in ihr Herz schoss. Vanessa zwang sich zu einem ernsten Gesichtsausdruck. Sie wollte nicht wie diese Tussis wirken, die sich jedem Mann gleich willig ergaben der ihnen zuzwinkerte. Sie war nicht so eine. Auch wenn sie diese Mädchen heimlich beneidete. Beliebt sein, hübsch sein, erfolgreich sein, das war etwas, dass Vanessa stets verwehrt blieb. Die Jungs veralberten sie und die Mädchen lästerten über sie. So konnte sie die Worte des Professors leicht in die Worte falscher Freundlichkeit einreihen, die sie in ihren Schuljahren nur zu gut kennengelernt hatte.
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